Slavomír Pejčoch-Ravik: Kathedrale am Bahnhof

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Kathedrale am Bahnhof

Bedrich Utitz, der mich durch Köln begleitet hat, ist in diese Gegend bereits als Soldat im Jahr 1945 gekommen. Die Stadt lag damals in den Ruinen, die Alliierten haben es damals richtig - bis auf die Flussebene vom Rhein planiert. Aber in der Mitte der Stadt stand die Kathedrale. Getroffen, beschädigt, aber noch da. Heute können Sie einen anderen Schock erleben – nämlich aus dem Zug in Köln am Bahnhof aussteigen und direkt vom Bahnsteig über die Treppe zur Kathedrale aufsteigen. Wäre die Zeitdifferenz – die Jahrhunderte zwischen dem Zeitalter der Gotik und der Erfindung der Eisenbahn nicht da, hätte ich sagen können dass die Kathedrale direkt auf dem Bahnhof gebaut wurde. Und dazu wurde sie von der anderen Seite mit modernen Gebäuden so umbaut, dass der Eindruck, den ein solches Bauwerk hervorrufen sollte unwiederbringlich verloren wurde. Der letzte Schein von Monumentalität ist der Kathedrale nur bei Betrachtung von der Wasseroberfläche des Rheins geblieben.

                         Die Kathedrale von Köln, versunken in Neubauten  Die Kölner Kathedrale „am Bahnhof“

Eins kann man diesem Bau nicht nehmen - seine sehr mutige, aber auch sehr stabile gotische Konstruktion wurde im zweiten Weltkrieg erfolgreich zur Probe gestellt. Außerdem wissen wir, dass er durch seine Größe an der ersten Stelle, noch vor der Kathedrale von Ulm steht. Und zuletzt entspricht er der klassischen Definition einer Kathedrale. Sie als hochwürdige Stätte des Heiligtums muss über einen Rundgang um die Priesterstelle, einen Querschiff und einen äußeren Stützsystem verfügen. Und das alles hat der Kölner Bau in Übermaß. Die Kirche selbst hat fünf Schiffe, das Querschiff ist sogar dreischiffig. Die Dimensionen sind phantastisch – 144 Meter lang und um 10 Meter höher als St.Veit, nämlich 43,5 Meter. Der Grundriss des Querschiffs bildet ein Kreuz und ist 75 Meter lang und 31 Meter breit. Die Stutzbögen und die Stützpfeiler sehen aus wie Spitzenwerk aus Stein, die zwei Türme wurden als von weitem sichtbare Dominanten gebaut. Sie sind 146 bzw. 159 Meter hoch und um die Aussichtsplattform der einen in Höhe von 97 Meter zu erreichen, müssen Sie über 509 Treppenstufen steigen.

Uns Tschechen interessiert selbstverständlich die Tatsache, dass Meister Gerard, der hier ab 1248 gearbeitet hat von unserem Peter Parler, dem zweiten Baumeister der Kirche St.Veit, abgelöst wurde. Wie es oft vorgekommen ist, die ganz großen gotischen Bauvorhaben konnte kein Herrscher in seiner Lebenszeit beenden. Von der Kirche der Heiligen Maria von Snezna in Prag ist nur die Priesterstelle geblieben, die Kirche des Heiligen Veit war sehr lange unvollendet – erst im Jahr 1928 wurde die Stirnseite fertiggestellt. Und so ist auch der Kathedrale von Köln gegangen. Sie wurde mit Unterbrechungen bis ins 16. Jahrhundert gebaut. Kriege und Finanznot haben die klassische Rolle der „objektiven Ursachen“ gespielt. Dann hat sich noch der Baustil geändert, es begann die Zeit der Renesanz. In Köln und auch in Prag wurden sie erst mit dem Romantismus des 19. Jahrhunderts wach, der sich wieder in die Gotik verliebt hat. Darüber hinaus entdeckte man in Dortmund und in Paris in den Jahren 1814-1816, also gleich nach den Kriegen mit Napoleon, die Originalpläne der Kölner Kathedrale. Es wurde wieder gebaut und im Jahr 1880 war die Kathedrale fertiggestellt.

Hohe Türme der KathedraleHier in Köln könnte man den Bau als Hilfsmittel für den Unterricht über Gotik verwenden. Man muss bei der Vorstellung den Atem anhalten dass hier überall Bomben explodiert sind, aber trotzdem haben die Systeme der Stützpfeiler, welche sich hoch in die Wölbung strecken nicht kollabiert. Vier gekreuzte Rippen bilden am Gipfel ein Feld – und davon gibt es unzählige. Seitendrücke werden durch weitere und weitere Pfeiler und Rippen aufgefangen und am Ende wird der Seitendruck mit mächtigen Bögen aus der Kathedrale heraus geleitet. Stützpfeiler mit Bögen unterstützen sichtlich, wie die Arme, diesen mutigen Bau von allen Seiten. Damit das Ableiten der Seitendrücke noch wirksamer wird, hat man auf die äußeren Pfeiler Pyramiden (Fialen) aufgesetzt. Sie wirken als geschmückte Briefbeschwerer, die dem ganzen System das erforderliche Gewicht und Sicherheit verleihen. Hier in Köln muss man niemanden über die Gesetze der Statik im gotischen Bauwesen belehren. Die Anschauung aus Stein breitet sich direkt vor unseren Augen aus.

Hierzu muss man noch das monumentale, mehrschichtige Portal, voll mit Plastiken einbeziehen. Und das Kreuz von Gero aus dem 10. Jahrhundert, welches eine echte Rarität aus der Zeit ist in der nicht viele Plastiken entstanden und von den wenigen nur wenige übrig geblieben sind.

Auf den Pfeilern im Chor findet man wunderbare polychromierte Plastiken aus dem Jahr 1320 und aus dieser Zeit stammt auch – kaum zu glauben – die Glasmalerei „Huldigung der drei Könige“ auf dem mittleren Chorfenster. Die Kathedrale wurde nämlich genau diesem Ereignis gewidmet, dem Augenblick, in dem die drei Könige Betlehem erreicht haben – ein fester Bestandteil unserer Krippen. Die Herrscher bringen Truhen mit Geschenken, hinter ihnen stehen oft Kamele, die in unsere Heime einmal im Jahr mit dem Weihnachtszauber auch den Duft des fernen Orients bringen. In der Kathedrale ist auch ein wunderbares Behältnis mit angeblichen Reliquien der heiligen drei Könige erhalten geblieben. Die Ausführung des Reliquiars wird als das beste Werk eines Goldschmieds in Europa gehalten. Nur... obwohl ich für Wunder zugänglich bin, über die drei Könige hege ich einige Zweifel. Die Schriften sprechen nicht über Herrscher, sondern über Gelehrte. Diese gefallen mir am besten, denn ihnen haben es vielleicht die Sterne gezeigt, dass irgendwo der König der Könige geboren wird. Und weil sie weise Gelehrte waren, haben sie sich ohne zu zögern auf den Weg nach dem Licht des Komet begeben, um sich davon zu überzeugen. Die Königswürden und ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar bekamen diese weisen Männer erst im 8. Jahrhundert. Also: im welchen Reich haben sie die Herrscher für die Kölner Kathedrale gesucht?

Beiläufig habe ich mich an die Worte von Stendhal erinnert, der in einem ähnliche Zusammenhang über Rom geschrieben hat: „Es sind keine hundert Jahre her, wo beim Heiligen Silvester ein Bild von Christus gezeigt wurde, welches angeblich der Erlöser selbst gemalt und an König Agbar geschickt hat .“ Und: „Die Arche der Vereinbarung sowie den Stock von Moses und ein Teil des Körpers von Jesus haben sie in der Kirche des Heiligen Johannes von Lateran gezeigt. In der Kirche des Heiligen Kreuzes auf der anderen Straßenseite zeigten sie einen der Silbertaler, die Judas bekommen hat, die Laterne des Verräters und das Kreuz, auf dem der Schurke an der rechten Seite von Christus gekreuzigt wurde.“
Und so habe ich mich in der Stille meiner Privatecke in der Kölner Kathedrale verbeugt – nicht vor den drei Königen, sondern vor den drei Weisen, welche ohne zu zögern ihre Säcke genommen und sich auf den beschwerlichen Weg begeben haben, um sich über die Wahrheit, welche die Welt verändern sollte, zu überzeugen. Es sind die ewigen Wanderer, die die unruhige Menschheit und den Mut der wenigen verkörpern.

Das Leben in der Mitte von Desinformation

Die deutschen Mediengesetze sind zahlreich. Wenn man sie zu studieren anfängt, erfährt man, dass die zu veröffentlichten Materialien objektiv, wahrheitsgemäß und ausgeglichen sein sollen, dass der Anteil von Parteien im Wahlkampf deren Stärke entsprechend sein soll, und so weiter, und so weiter..... Jedes dieser Adjektive verlangt nach genauer Interpretation, aber ein Professioneller weiß sehr wohl, dass man jeden Bericht auch bei Einbehaltung seiner Objektivität betonen oder unterdrücken kann. Es reicht sie entsprechend zu platzieren oder den richtigen Ton beim Vorlesen in der Sendung zu wählen. Zur Untermalung reicht auch ein gut gewähltes Adjektiv. Oder man wählt bei der Aufnahme einer Person mit der Kamera einen ungünstigen Winkel, eine Sequenz, in der sie auf sich nicht aufpasst oder benutzt ein falsches Objektiv. Mein Freund hat mich aus Spaß mit dem „Fischauge“ aufgenommen und schon war ich ein Monster. Nicht jeder von uns kann sich den ganzen Tag konzentrieren- es reicht ein Augenblick wo sie nicht gerade geistreich aussehen - und schon klickt der Auslöser. Das Bild mit ausgestreckter Zunge hat Einstein nicht gestört. Einige Premierministern aber schon – vor allem wenn sie das Niveau von Einstein nicht erreichen. Aber wer von uns erreicht überhaupt ein solches Niveau? Und so landen wir in einer Welt von Desinformationen, in der wir leben müssen, ob es uns gefällt oder nicht. In Deutschland hat man in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine Umfrage bei den Fernsehzuschauern durchgeführt. Es wurde gefragt, was einzelne Zuschauergruppen an diesem Medium schätzen. Für zwei Drittel der Zuschauer war die schnelle Berichterstattung wichtig, für 54 % der volle Überblick über die Ereignisse. Aber nur 27 % haben geglaubt dass die Nachrichten wahr sind und unverfälscht wiedergegeben wurden, 29 % haben angenommen, dass die Sendungen bei ihrer Meinungsbildung behilflich sind und nur ein Viertel war sich sicher, dass ausgerechnet das Fernsehen uns helfen kann unseren Platz in der Welt zu finden.

Wir, die von meinem Führer durch deutsche Medien, Herrn Bedrich Utitz in der Kunst der Berichterstattung gedrillt wurden wissen sehr wohl, wie wichtig die Unterscheidung zwischen einem Bericht und einem Kommentar ist. Und genauso wissen wir wie schwierig ist es zwischen diesen zwei Formen der Berichterstattung eine genaue Grenze zu ziehen. Denn ein Bericht enthält bereits Antworten auf eine Reihe von Fragen, welche einer Erläuterung verlangen. Es reicht, wenn wir wirklich erläutern was ist wem, wo und wann passiert – und schon sind wir an der Grenze zum Kommentar gelangt.

Weil wir schon Deutschland behandeln, können wir zum Beispiel an einfachen Wahlergebnissen zeigen, wie unterschiedlich man die gleichen Fakten präsentieren kann:
Erstens: Bei der Bundestagswahl hat die CDU 48 %, die SPD 38 % und die Grünen 5,6 % erreicht.....
Zweitens: Bei der Bundestagswahl hat die CDU als die bedeutendste Kraft den größten Erfolg erreicht......
Drittens: Bei der Bundestagswahl hat die wichtigste oppositionelle Partei, die SPD bedeutende Verluste erlitten....
Viertens: Bei der Bundestagswahl haben die Grünen zum ersten Mal Mandate im Parlament bekommen....
Alle diese Nachrichten sind wahr, aber trotzdem nicht gleich objektiv und unparteiisch. Und dabei spricht man nicht über Miniparteien, über erdrückenden Sieg der einen und erdrückender Niederlage der anderen Partei – also mit Vokabular, mit dem die politische Sprache zuerst von Nazis, später von Kommunisten und dann von allen nachfolgenden vergiftet wurde. Denn in der Politik gilt ein ungeschriebene Gesetz: niemand wird nie von der Vergangenheit lernen und alle neuen Machhaber werden krampfhaft versuchen ihre erfolglosen Vorgänger zu imitieren.

Das Gleiche gilt auch für die Ausgewogenheit der Informationen. Falls ich heute über das Stehlen während der Privatisierung spreche, kann man sich kaum vorstellen, dass wir gleichzeitig die Firmen bis in den Himmel loben werden, die bei der Privatisierung das gemeinsame Vermögen nicht gestohlen haben. Und sollten wir darüber hinaus die unbezahlte Werbung vermeiden, was eigentlich durch eine einigermaßen vernünftige Gesetzgebung sowieso noch erlaubt werden sollte. Aber wie laut sollte das Geschrei der Presse über die Privatisierung nach allen den von ihr veröffentlichten anderen Affären sein?

Der Fernsehreporter Dagobert Lindlau hat einmal bemerkt, dass er nur auf den Tag wartet, an dem aus Sorge um die Ausgewogenheit der Nachricht irgendein alter Nazi vor der Kamera sagt, dass auch die Konzentrationslager eine gute Seite hatten... Verständlicherweise ist hier die Forderung nach Ausgewogenheit der Nachrichten deutlich ad absurdum geführt worden. Andererseits wird es immer mehr deutlich wie schwierig es ist mit einem Gesetz das richtige Maß an Wahrheit und Objektivität zu definieren. Es scheint eher an der Kultur des Geistes und an der demokratischen Tradition des jeweiligen Landes zu liegen. Ich würde in dieser Beziehung den Engländern das größte Vertrauen schenken, weil sie ihre Legislative ungemein sorgfältig betreiben.

Am einfachsten können die Fernsehkameras die Grenzen der Wahrheit und der Objektivität verlassen. Nur scheinbar stehen sie als ein Spiegel der Wahrheit da, aber das Bild ist überhaupt nicht in der Lage die Tiefe, die Wurzeln der Tatsachen zu erfassen. Die Fernsehkameras, welche Regierungen aufnehmen, geben regelmäßig der jeweiligen Regierungspartei vor der Opposition Vorzug, ohne dass der Kameramann und der Redakteur das Gesetz der Ausgewogenheit brechen. Und es ist die Fernsehkamera, welche die größte Macht bei der Beeinflussung von emotionalen Reaktionen der Menschen hat, weit mehr als Rundfunk oder die Zeitungen.

Genauso schwierig ist es das Maß des Geschmacks, der Frivolität und der Gemeinheit bei Videokassetten, Fotos und Literatur zu beurteilen. Nach der „großen samtenden Revolution“ sind die Menschen in der Tschechoslowakei plötzlich ausgeflippt. Auf den Straßen und auf den Tresen der Buchhandlungen fand man plötzlich Stapel von Schweinereien, alle haben versucht einen Sexshop – möglichst in der Stadtmitte - zu eröffnen. Und die außerordentlich prüden Abgeordneten und Minister der katholischen Richtungen haben gemeutert. Sie haben hohe Steuern, Strafverfolgung, Verlust der Lizenzen und ähnliches vorgeschlagen – und ich fragte vergebens bei ausländischen Experten danach was sie daheim als Pornographie betrachten und was nicht. Glücklicherweise ist die Nation nüchtern geworden – von selbst und vollständig. Trotzdem habe ich eine deutsche Expertin, die Vorsitzende der Bundesprüfstelle Frau Monssen-Engberding in Bonn besucht. Diese durch und durch solide Dame, die für den Schutz der Jugend vor gefährlichen Schriften und Videokassetten zuständig ist, hat versucht mir ihre Auffassung der Pornografie zu erläutern. Und so ist es mir zum ersten Mal passiert, dass mir diese merkwürdige Produktion von einer Frau- sogar von einer Dame und einer hohen Regierungsbeamtin vorgeführt wurde. Ihr Kriterium war ganz einfach: Bilder, welche nicht zum Ziel hatten Aufregung hervorzurufen hat die Frau Vorsitzende für einwandfrei gehalten. Fotos von nackten Frauen, welche durch Manipulation der unteren Körperteile Aufregung verursachen sollten wurden durch die Prüfstelle zurückgewiesen. Falls meine eigene Aufregung als Maßstab dienen sollte, hätte ich beide Kategorien gleichmütig und ohne Aufregung angenommen. Wie es Herr Werich gesagt hätte war es einfach nicht meine Tasse Tee. Aber gleichzeitig ist es mir klar geworden, dass andere deutsche Experten über andere Kriterien verfügen könnten. Die Franzosen betrachten die Ausstrahlung ungeeigneter Programme vor allem als Schande des Produzenten und des Senders.

Unstreitig ist aber, dass die Deutschen diese Branche offiziell streng kontrollieren. Nur in Westdeutschland, also noch vor der Wiedervereinigung haben sich mit diesen Themen in den Stadtverwaltungen 900 Jugendämter beschäftigt. Diese Organe übermitteln die Beschwerden von Einwohnern an die Prüfstelle, welche einmal in Monat ein Beratungsgremium zur Tagung einlädt. Dieses Plenum, ein Tribunal der Moral, besteht aus 40 Vertretern von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen und aus 30 Vertretern der Bundesländer. Sie beurteilen die beanstandeten Videoaufnahmen und die Literatur und urteilen in 500 bis 600 Fällen pro Jahr. Alle zwei Monate erscheint ein Verzeichnis und Buchhändler und Verkäufer von Videokassetten dürfen die dorthin enthaltenen Produkte nicht auf dem Tresen anbieten. Für solche Werke ist die Werbung verboten und sie dürfen nicht Jugendlichen unter 18 Jahren angeboten oder verkauft werden. Noch schlimmer können Fernsehsender bestraft werden. Sie werden von der für Rundfunk und Fernsehen zuständigen Landesbehörde zu einer Geldstrafe bis zu einer halben Million Mark verurteilt – und diese Strafe zahlt man, wie ich bei RTL gehört habe, sechszehnmal, nämlich einmal für jedes Bundesland. Es würden also eine oder zwei Verstöße gegen das Gesetz reichen, um einen Sender in die Insolvenz zu treiben.

Auch im Zeitalter der Desinformation ist es außerordentlich wichtig zu wissen wer und womit das Maß des Anstandes verletzt hat, wie es über unsere natürlichen Gefühle des Gefühls und Schams bestellt ist und ob es sich vielleicht nur um eine öffentlich zur Schau tragende Präsentation unserer tatsächlichen oder vorgetäuschten Prüderie handelt.

Durch den Umzug der Regierung nach Berlin, also ohne das umfangreiche Regierungsviertel, ist Bonn eigentlich kaum noch der Rede wert.

Die Festung am Rhein

Bonn wird manchmal als ein kleines Dorf betrachtet. Und es ist wirklich ein kleines Städtchen, zersplittert in viele kleine Villenvororte. Durch den Umzug der Regierung nach Berlin, also ohne das umfangreiche Regierungsviertel, ist Bonn eigentlich kaum noch der Rede wert.
Und trotzdem war es früher eine Festung. Historiker führen an, dass Bonn aus einem befestigten römischen Lager mit dem Namen Castra Bonensis entstanden ist. Gegründet wurde es von Nero Claudius Drusus, einem römischen Thronnachfolger (38-9 vor Christi) etwa im Jahr 12 vor unserer Zeitrechnung. Drusus wurde nie Kaiser, er starb nach einem Sturz vom Pferd.

Heute ist von den Festungsbauten nur eins geblieben – der Münster, ein romanischer Bau aus dem 11. bis 12. Jahrhundert. Auch in Böhmen hat man in diesen Zeiten Kirchen gebaut. In Prag sind es drei runde Der romanische Dom in BonnRotunden und die Kirche St.Georg auf der Burg. Ein Bau aus weißem Pläuerkalkstein, das von Hradcin aus weit nach Prag strahlt. Aber im Vergleich mit den deutschen Bauten, vor allem mit denen im Rheinland hatte ich das Gefühl, dass die Tschechen vor tausend Jahren nur Miniaturen gebaut haben. Nur eins haben wir gemeinsam – den Stil, der zu mächtiger Häufung der Materie gezwungen hat. Das Tonnengewölbe saß schwer auf den Seitenwänden und den dadurch entstandenen Druck hat der Baumeister, der über die Kenntnisse der gotischen Architektur nichts wissen konnte, passiv durch massive Seitenwände abgefangen. Die damaligen Baumeister haben sich auch nicht erlaubt diese kompakte Masse durch ein breiteres Fenster durchzubrechen. Daraus resultieren die einzelnen schmalen Fenster, die eher als Schießscharten aussehen. Falls der Architekt erfindungsreich war, hat er zwei bis drei solcher Fenster zusammengefügt und sie mit Pfeilern unterstützt. So ist auch der Münster in Bonn gebaut. (Bild 04) Schon aus der Weite signalisiert er seinen Ursprung als Festung, befestigt mit fünf Türmen, welche nur sehr nüchtern mit einem welligen Fries und vor allem mit Fensterbögen in den oberen, vom weiten sichtbaren Stockwerken, geschmückt sind. Der mittlere, mehrkantige Turm erreicht so die Höhe von 95 Meter. Der Dom hat zwei Chöre, einen Kreuzgang, Plastiken aus dem 13. Jahrhundert und eine Krypta. Das Ganze wirkt wie ein würdiges Heiligtum, würdig genug, um Herrscher zu empfangen. Unser Karl IV. hat dort im Jahr 1346 die Krone des römischen Königs bekommen.

Außerdem ist Bonn der Geburtsort von Ludwig van Beethoven. Diese berühmte Stätte hat wahrscheinlich auch der Universitätsstudent Karl Marx besucht, der allerdings für die Nachkommen eher zur Katastrophe wurde.

In Köln, obwohl im Krieg sehr stark zerstört, sind mehrere solche Festungen erhalten geblieben. Es sind dort etwa dreißig Kirchen, nur drei davon erinnern durch ihren Ursprung und ihre Masse gleichzeitig an den Bonner Münster und eine kirchliche Festung. Die Kirche der Heiligen Maria auf dem Kapitol ist um das Jahr 1040 erstanden, die Kirche des Heiligen Martin wurde im 12. Jahrhundert gegründet und die letzte Kirche - die der Heiligen Aposteln - wurde im Jahr 1020 gebaut und um 1192 umgebaut . Alle diese Bauten sind gestaltet als eine mächtige, rundliche Anhäufung von Masse, mit ausgelagerten Apsiden, die den Dom hinter dem Altar abschließen. Hier haben sie sogar als Abschluss des Doms drei Apsiden, typisch für die romanische Bauweise des Rheinlands. Und wenn wir dem Fluss von Rhein folgen, werden wir feststellen, dass man dort fast überall auf dieser Weise gebaut hat. Als ein tschechischer Baumeister des romanischen Zeitalters würde ich mich hier sehr minderwertig fühlen. Vielleicht hat es schon damals mit den ganzen Komplexen angefangen. Wir haben aber zwei Möglichkeiten: entweder wir werden besser und werden daran erinnern, dass es Bereiche gibt, in denen wir schon unsere Qualitäten gezeigt haben oder wo wir uns leisten können den Deutschen gleich zu werden. Oder wir kümmern uns überhaupt nicht darum, werden die Tradition akzeptieren und uns nicht mit Komplexen quälen. Ich bin eher für die erste Möglichkeit.

Übersetzung: Ctirad Pánek

Tento článek byl v Pozitivních novinách poprvé publikován 25. 06. 2008.