Slavomír Pejčoch-Ravik: Der Weg zu den Nibelungenschätzen

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DER WEG ZU DEN NIBELUNGENSCHÄTZEN   

Der Weg zu den Nibelungenschätzen fängt wirklich im mittleren Rheinland an, im Rheinabschnitt zwischen Mainz und Bonn. Worms, wo die Nibelungensagen angefangen haben liegt noch einige Kilometer südlicher. Und Mainz ist wieder eine der großen Kirchenfestungen, welche eine weite Umgebung beherrscht haben. Wir haben das Auto irgendwo am Stadtrand stehen gelassen und  uns durch die Straßen und Gässchen der mittelalterlichen Stadt in Richtung Dom bewegt. In Deutschland gibt es drei romanische Schätze, welche den Titel „Gottesburg“ verdienen. Und einer davon ist eben hier – der Dom des Heiligen Martin aus dem 11. Bis 13.Mainz, Dom des Heiligen Martin Jahrhundert. Eine mächtige Anhäufung von Materie und Türmen hat der weiten Umgebung verkündet, wer der Herr am Rhein und in Mainz ist. Stellen Sie sich ein Raum vor, 112 Meter lang und durch sechs Türme ergänzt, welche dem Dom Festungscharakter verleihen. Der Dom verfügt sogar über zwei Chöre, eins davon symbolisiert die Weltmacht, der andere die Kirchenmacht. Die ursprünglichen romanischen Türme, mit kleinen romanischen Fenstern versehen, haben sicherlich nicht so großzügig gewirkt wie die heutigen. In den folgenden Jahrhunderten hat man die  Anhäufung der Materie fortgesetzt. Die Türme wurden gotisch erhöht, mit durchbrochenen Fenstern versehen und zuletzt in Barockstil beendet. Der mächtigste Turm über der Kreuzung der Schiffe übersteigt die Höhe von 82 Metern und wurde erst in den Zeiten des Spätbarocks (1767-1819) beendet. Ungewöhnlich sind auch die Aufteilung der Innenräume und ihre reiche Verzierung mit Plastiken. Hier kann man unter den Herrschern auch unseren Johann von Luxemburg entdecken. Kein Wunder, dass sich hier in den letzten Jahren vor unserer Zeitrechnung die Römer eingerichtet haben und dass der Erzbischof von Mainz zu den Kurfürsten angehört hat, welche die Herrscher gewählt haben. Auch der tschechische Fürst Vratislav II. hat hier den Königstitel für seine Person erhalten. Hier fand auch die berühmte Krönung des tschechischen Königs Premysl Otokar II. (1198) statt.
Der hiesige Probst Peter Aspelt  war auch der Probst von Vysehrad. Als  tschechischer Kanzler hat er die Außenpolitik seines Königs Wenzel II. bestimmt. Der Reichstag hat dort unter anderem über einige der Kreuzzüge gegen die Hussiten im Jahr 1421 entschieden. Wir wissen, wie es den Reichsherren bei der Schlacht bei Zatec erging. Hier starb auch unser „Winterkönig“ Friedrich von der Pfalz 12 Jahre nach der tragischen Niederlage auf dem Weißberg bei Prag.
Der Publizist kann es nicht versäumen an Johannes Gutenberg zu erinnern, der in Mainz die erste Druckerei eröffnet hat. Dieser Mann, der eigentlich Johannes Gensfleisch hieß hat durch den Buchdruck die Geschichte wesentlich beeinflusst, weil er die bis dahin manuell abgeschriebene Literatur allen zugänglich gemacht hat. Gutenberg erfuhr – wie oft – Anerkennung erst kurz vor seinem Tod, alt und blind. Das Wort Gutenberg erinnert an die tschechische Stadt Kutna Hora und nach einigen Hypothesen wird dem Erfinder des Buchdrucks oder mindestens seiner Familie der Ursprung von Kutna Hora zugesprochen. Das war ja in dem mittelalterlichen Universalismus das bezaubernde:  Die Menschen konnten frei durch die Welt wandern, die Gebildeten hatten Latein als universelle Sprache der Verständigung, die Universitätsmagister konnten überall lehren und die Handwerker konnten dort arbeiten, wo es ihnen gefallen hat.... Und uns bleibt nichts anderes als der Glaube, dass wir irgendwann zum freien Verkehr von Menschen und Ideen zurückkehren werden.
Um zu den Schätzen zurückzukommen: der beste Schatz des Tages war der Wagen des Kollegen Mikestik. Wir haben die Orientierung verloren und danach konnten wir nur feststellen, dass Mainz eine mächtige und mysteriöse Stadt ist.
Der Tag war wunderschön. Es war Oktober, über den Himmel flogen dramatische Wolken, gelegentlich hat es geregnet, der Regenbogen leuchtete, die Blätter der Bäume wurden gelb und aus der gelb-roten Kulisse der Bäume traten  ohne Ende mächtige romanische Kirchen und Burgen hervor. In einem Augenblick haben wir geglaubt am Ende eines zauberhaften Tals zu sein, aber dann erhoben sich die Hügel und die Vorstellung wurde fortgesetzt. Der Rhein hat sich buchstäblich durch  Hänge durchgeschnitten, die mit Weinbergen gekrönt  sind, auf deren der hervorragende Rheinwein wächst. Der mächtige Fluss wurde an beiden Ufern mit Burgen und Kirchen-oder Festungstürmen befestigt. Wir sind nach Bonn linksrheinisch über einen sehr alten römischen  Handelsweg über eine Länge von 151 Kilometern gefahren. Gleich am Anfang sind wir an Bingen mit seinem aus einer alten Burg und dem aus einen gotischen Kloster entstandenen Rathaus vorbei gefahren. Die größte Attraktion des Ortes ist  Bingen Loch, ein seichter Rheinfluss mit Klippen. Auf der kleinen Insel steht auch der Mäuseturm, in dem angeblich im Jahr 969 der Mainzer Erzbischof von Mäusen getötet wurde.  
Bingen Loch Bingen
Jetzt tut es mir Leid, dass ich Richard Wagner nicht mochte, denn seine Melodien hätten mich auf diesem Weg begleiten können. Viele Werke, in die gemeinsame Tetralogie eingebunden: Der Ring des Nibelungen wurde durch den Rhein und seine Schätze inspiriert. Das Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. Und so kann ich mich mindestens an die Rekonstruktion der Handlung erinnern, eine Sage über den Nibelungenschatz, welche gerade in Bingen Loch endet. Das Lied erzählt von einer Nacht, in der durch die nahe Stadt Worms ein Zug von zwölf mit Planen bedeckten Wagen fuhr. Die Wägen haben am Rhein halt gemacht, wo bereits ein von Soldaten bewachtes Schiff wartete. Von den Wägen wurden schwere mit Eisen beschlagene Kisten abgeladen und die schwere Last auf das Schiff umgeladen, dessen Besatzung aus von kürzlich in einer Schlacht eingefangenen Sklaven bestand. Der Kommandant des Schiffes war ein Kerl mit rotem Bart und einem riesigen Schwert am Gurt, Hagen von Tronje. Das Schiff hat sich auf eine geheime Reise Fluss abwärts begeben. Auf einer Stelle, wo  der Fluss  eine Kurve bildete wurde entschieden: eine Kiste nach der anderen verschwanden in den Wellen des Rheins. Dann hat das Schiff gedreht und  ist nach Worms zurück gekehrt. Nach der Rückkehr wurde die Besatzung bis auf Hagen von Tronje getötet, damit sich niemand die Stelle merken konnte, wo der Rhein den Schatz der Nibelungen verschlungen hat. Richard Wagner
Das Heldenepos wurde nach einer mündlichen Erzählung für uns vom Ritter Kürenberg, einem Dichter aus der Nähe der österreichischen Stadt Linz aufgenommen.  Das geschah um 1140, also lange nach dem endgültigen Verlust des Rheingoldes. Übrig geblieben ist nur ein Lied voll mit Unrecht und Grausamkeiten, in 2400 Strophen mit jeweils vier Versen enthalten. Gold und Edelsteine haben sich mit Vergeltung, Sex, Hass und Verbrechen vermischt, also mit allem, was Sagen über große Schätze begleitet.
Angefangen hat es damit, dass das mythische Zwergvolk der Nibelungen  unglaublich große Werte in Gold und Edelsteinen gehortet hat. Des Schatzes hat sich aber der „edle und vornehme“ Sohn der Herrscherdynastie aus Xanthen am Niederrhein bemächtigt und zwar auf eine Weise, die mit Edelmut und Großmut überhaupt nicht zu tun hatte.
 Mit einfachen Worten gesagt: Siegfried hat das Schwert gezogen, beide Erben umgebracht und mit Bewachung des Schatzes  den starken Alberich beauftragt. Dann ist er nach Worms gezogen, wo ihn die schöne Kriemhild, Schwester des Königs Gunther verzaubert hat. Der bereits erwähnte Hagen von Tronje hat den Eigentümer des sagenhaften Schatzes ermordet, denn nur er kannte die einzige verwundbare Stelle auf Siegfrieds Körper, nämlich die zwischen den Schulterblättern. Die unglückliche Kriemhilde denkt aber sofort an die Schätze, welche sie im Land der Nibelungen geerbt hat. Sie hat die Einflussreichen und die Mächtigen bestochen und ihre Leibgarde finanziert, alles um gegen die Mörder und vor allem gegen Hagen vorzugehen.
 Und dann wurde nur gemordet. Kriemhilde hat sich mit dem Hunenkönig Etzel verheiratet, seinen Bruder Gunther enthaupten lassen und sein Kopf in der Gefängniszelle Hagen gezeigt. Es wiederholt sich die alttestamentarische Szene mit Holofernes, der auch enthauptet wurde. Hagen hat sich durch diesen blutigen Blick nicht erschreckt und sagte „so lautet der Schwur....dass ich den Schatz keinem Wesen zeige und niemanden gebe“. Und so wurde auch Hagen enthauptet, aber konnte noch im letzten Augenblick einen gemeinen Fluch aussprechen.
Für die deutschen Romantiker, Sensibelchen und Abenteurer aller Art ist der Nibelungenschatz das geworden, was für die Tschechen der Schatz von Stechovice und für die Russen das Bernsteinzimmer sind. Es kann sein, dass uns der Autor des Liedes nur eine falsche Legende hinterlassen hat. MöglicherweRheinstein ise liegt der Schatz im Bingen Loch, an dem wir mit Lojza Mikestik vorbei gefahren sind. Aber es gibt auch Forscher, welche es an anderen, natürlich geheimen Plätzen suchen.
Wir aber fahren weiter. Gleich hinter Bingen stehen zwei mächtige Burgen, Rheinstein und Reichenstein, dann eine Kirche aus dem 11. Jahrhundert und auf einem Steinplateau das Märchenparadies mit plastischen Szenen aus bekannten Märchen. Dann zur Abwechslung ein Renesanzgebäude aus dem 16. Jahrhundert und das Städtchen Bacharach, in dem die Reichsfürsten im Jahr 1344 über die Wahl von Karl IV. zum Reichskönig beraten haben. Fünf Jahre später hat hier Karl IV. seine zweite Frau, Anna von der Pfalz, geheiratet. Das Städtchen hat eine uralte Kirche, erhaltene Teile der Stadtmauer mit Toren und Türmen und Torso einer gotischen Kapelle.  Es fügt sich sehr gut in die Atmosphäre dieser märchenhaften Plätze. Und als ob die historischen Kulissen nicht genug wären, ragt über die Stadt noch die Burg Stahleck. Vier Kilometer weiter steht eine Festung aus dem 14. Jahrhundert, die den Zugang zu einer weiteren Burg schützt. Die Stadt Oberwesel war früher eine römische Festung mit dem Namen Vosavia. Hier sind die Befestigungen, zwei gotische Kirchen  und oberhalb Ruinen die Burg Schönburg erhalten geblieben.

Stahleck  Reichenstein
Und schon macht der Rhein einen Bogen um einen mächtigen Fels, die berühmte Loreley, sie ragt  132 Meter über den Fluss. Der Sage nach hat hier die Elfe Loreley gelebt, eine europäische Art der antiken Sirenen, welche die Schiffe in die Gefahr und Vernichtung gelockt haben. Heute sitzt auf dem Gipfel eine goldene Jungfrau, Attraktion für die Touristen, an der die am Ufer gegenüber liegenden Restaurants prächtig verdienen. Und so starrt man durch das verregnete Fenster das goldene Mädchen an und denkt an die Verse von Heine, Loreleywelche man hier auf Postkarten kaufen kann: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich hier so traurig bin..... „ Und an die schönste Jungfrau, die hier ihre Haare mit goldenem Kamm kämmt und die Bootsleute zum Schauen auf das singende Mädchen oben auf dem Fels verführt, anstatt die Wellen des Rheins zu beobachten.
Wir fahren weiter. Auf dem Hang über dem Fluss ragt anstatt einer Frauenstatue die mächtige Burg Katz. In der Vorburg ein starker Burgturm und in der Pfarrkirche ein Altarbild von Cranach. Den Eigentümern von Katz gehört auch die nahe liegende Burg Deutenburg, die humorvoll Maus genannt wird, damit zu der Katze auch eine Maus gehörte. Hierzu kommen noch Ruinen von zwei weiteren Burgen aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die hier „Die feindlichen Brüder“ genannt werden. Nach der Legende gehörten sie zwei Brüdern, welche sich im Streit gegenseitig umgebracht haben. In der Stadt Boppard, früher eine römische Festung sind bis heute Reste der römischen Befestigungen, Bastionen und Schanzen erhalten geblieben, dazu eine gotische Burg am Rheinufer. Die romanische Kirche des Heiligen Severin rundet die Anhäufung der Sehenswürdigkeiten aus den alten Zeiten ab. Danach sehen wir die einzige völlig erhaltene Burg am Rhein, gegründet um 1200 – die Marksburg mit einem vierzig Meter hohen Turm und einer gotischen Kapelle. In der Stadt und in der Vorburg sind drei weitere romanische Türme und eine romanische Kirche, sogar mit bemalter Holzdecke.
Die Stadt Rhens war seit 1308 ein traditioneller Treffpunkt  der deutschen Kurfürste. Sie haben dort 1346 Karl IV. und auch 1376 Wenzel IV. zum deutschen König gewählt, den sie aber nach weiteren 24 Jahren abgesetzt haben. Den sogenannten Königstuhl, wo die Wahlen stattgefunden haben ist dort bis heute erhalten. Über dem Dorf Kapellen findet man weitere Burgruinen, verwandelt in ein romantisches Schloss Stolzenfels. Gegenüber sind erhaltene Schanzen, Hexenturm, eine romanische Kirche und ein Teil der Wasserburg Martinsburg. Ein Stück weiter eine weitere Burg Landeck.
       Boppard  Marksburg
Wir passieren Koblenz, den Geburtsort von Clemens Metternich und unterwegs treffen wir auf den weit sichtbaren Weißenthurm aus dem 14. Jahrhundert, einen 60 Meter hohen Geysir, Reste der römischen Grenze, die romanische Basilika in Sinzig und wieder Schanzen und eine weitere romanische Kirche. Dann die berühmte Brücke von Remagen, die im März 1945 die amerikanische Armee überschritten hat. Und langsam nähern wir uns Bonn. Es war ein wunderbares Erlebnis, welches ich sehr gerne wiederholen möchte, aber diesmal langsam schwimmend auf dem Schiff mit einem Glas Rheinwein in der Hand. Im Auto passiert man das Tal mit schnellen Kopfbewegungen wie bei einem Tennismatch. Man weiß nicht ob man links, auf das gegenüber liegende Ufer oder nach oben sehen soll, weil einige der Burgen genau über uns waren.
UND WIR SIND IN BONN
Nachdem ich in die Wohnung gekommen bin, blieben mir zum Packen Abendessen und Abfahrt kaum zwei Stunden übrig. Die kleine ungarische Salami, die eiserne Reserve eines tschechischen Touristen wurde  wieder sorgfältig im Koffer verstaut. Sie kann sich nicht beschweren, ist viele Kilometer gefahren und hat viel von der Welt gesehen. Ich mache Ordnung im Botschaftsappartement. Die Ausstattung war Klasse. Alle Arten von Gläsern, Teeservice, Kaffeservice, Besteck. Nur in den Töpfen war die Auswahl klein. Um eine Gulaschkonserve zu wärmen musste ich einen riesigen Kochtopf benutzen. Nachdem ich die Fläche und die Wärmekapazität der Kochplatte gegenüber dem Inhalt der Konserve falsch eingeschätzt habe, hat es bereits nach einer kurzen Zeit gefährlich gestunken. Und so konnte ich mir nochmals bestätigen, dass ich was Kochen angeht ohne Probleme gerade noch die Zubereitung von Tee und Kaffee und eventuell noch Eier schaffen kann. Und so verzichte ich lieber auf weitere Kochversuche, obwohl ich hierzu auf unseren diplomatischen Vertretungen viele Möglichkeiten hätte.
Als wir am Bahnhof angekommen sind, war Bonn bereits in der Dunkelheit getaucht. Lojza hat mit mir geduldig beim leisen Rauschen von Regen bis zur Ankunft des Busses gewartet. Die Buslinie hat wie üblich funktioniert. Ich habe mein Kissen aufgeblasen und habe angefangen zu träumen – über die Nibelungen, über Burgen und Festungen, über die Medien, über die Sorgfalt der deutschen Gesetzgeber und darüber, dass auch wir uns diese Sorgfalt aneignen sollten, um mindestens unsere Minderwertigkeitskomplexe zu verlieren.
Übersetzer: Ctirad Panek

Illustrationen werden als Collagen präsentiert  Olga Janičková

Copyright ©Olga Janíčková

Tento článek byl v Pozitivních novinách poprvé publikován 15. 08. 2008.