Der Schatz der Nibelungen
Tschechische Touristen haben Deutschland mit Plastiktüten in eintägigen Busausflügen kreuz und quer durchgefahren. Es kann uns also nichts mehr überraschen, nichts begeistern. Jeder kennt hier alles, jeder weiß alles… Meine Reise war doch etwas anders. Ich bin am 28. Oktober 1991, einem nicht runden aber trotzdem bezaubernden Staatsfeiertag angekommen. Es war wie ausgeschnitten aus meinem „Gartenfest für fünfzehn Millionen“ oder als ein zauberhaftes Vorwort zum Buch, welches noch nicht geschrieben wurde, denn im Herbst 1991 war ich noch nicht so enttäuscht wie zwei Jahre später. Und obwohl ich hier auch andere Interessen hatte - mein „Reisebüro“ war NATO - habe ich an der Feier aus lautem Anstand teilgenommen. Und ich hatte im Botschaftsgebäude mein übliches Appartement. Es war perfekt – in den Uniformen des Herrn Pistek kamen die Soldaten der Präsidentenwache, andere Jungs in Trachten und die Mädels des diplomatischen Dienstes in fliegenden Röcken. Essen war reichlich vorhanden, die Tische haben sich darunter gebogen. Und damit sich die Deutschen besser auskennen könnten waren überall Orientierungstafeln aufgehängt: TLATSCHENKA, HALUSCHKI, KOLATSCHE, JATTERNITZ…. Und dazu Volksmusik und viele Bilder von Jan Soucek, des Malers der apokalyptischen Zerstörung Er zeichnet zum Beispiel eine Pferdekutsche, die von irgendwo nach nirgendwo über einen Abhang zum Abgrund voll mit Abfall rast. Er lässt uns in eine Pfütze in der Wüste reinschauen und wir sehen die Spiegelung einer Kathedrale, die es schon lange nicht gibt. Oder er malt eine niedliche antike Gartenbank, die schon lange auf dem Seegrund liegt. Er ist ein Maler der Gegenwart, besucht mit dem Ende. Ich glaube, dass sowohl Jan Soucek wie auch ich diese alberne Feier genossen haben, an dessen Hintergrund die Schollen unseres Planeten zerreißen, die Grenzen trennen, die Vulkane des Hasses explodieren. Ich bin nur kurz geblieben, habe nur den Anfang erlebt, weil ich bereits einen Termin hatte und wie alle wissen, sind die Deutschen pünktlich. Ich selbst komme zum Treffen lieber etwas früher als eine Minute zu spät. Darüber hinaus hatte ich einen riesigen Respekt vor der deutschen Gründlichkeit und Genauigkeit und so konnte ich es mir nicht leisten die Vorbereitungen für diese Reise zu vernachlässigen. In der Bibliothek habe ich alle Quellen über Medien durchgesehen, hatte davon einen Ringordner von etwa fünf Hundert Seiten mitgebracht und konnte somit uns allen Zeit sparen. Mir, meinem Begleiter und auch den deutschen Gastgebern. Sie haben – wie es in Deutschland üblich ist – mit Basisinformationen angefangen und ich habe sie bereits nach dem zweiten Satz um Antworten auf meine Fragen zum Detail bitten müssen. Und so habe ich hier und auch anderswo meine Zeit optimal ausgenutzt, obwohl wir manchmal nach einer ganztägigen Wanderung über verschiedene Medien tot müde waren. So geschehen auch am 28. Oktober, am ersten Tag unserer Studienreise. Wir sind dann zum Fest zurückgekehrt. Dort waren nur die Tschechen unter sich und es wurde bereits gemütlich. Die Jungs von der Präsidentenwache waren auch locker, es wurde Wein und Sliwowitz getrunken, auf den Tischen stand aufgewärmtes Gulasch, Jatternitz und andere Leckereien….Es war der Nachhall der Apokalypse von Soucek. Mit dem Zerstörungsthema spielte im Leben nicht nur der Maler Soucek. Auch ich habe früher über die sieben Siegeln der Apokalypse geschrieben, über die Bedeutung des biblischen apokalyptischen Geschehens bei dem das Meer bitter wird, die Sterne vom Himmel fallen, die Erde in Rauch und Gestank erstickt und die Menschheit an schmerzhaften Krankheiten leidet. Mit jedem gebrochenen Siegel ein neues Malheur – und es waren sieben Siegeln und sieben Geiseln. Schon damals, Anfang der Siebziger habe ich mir gedacht, dass nur ein Kenner so etwas illustrieren konnte, jemand, der die Vision der apokalyptischen Zerstörung buchstäblich in seinem Pinsel hat, der sie schon vor Langen Zeiten erlebt, durchdacht und auf dem Leinwand ausprobiert hat. Und nun haben wir uns hier getroffen. Hänschen ein wenig unter dem Einfluss des Rotweins, was wir beide lieben und ein wenig missmutig über die Umgebung seiner Ausstellung. Er hat nicht begriffen, dass dies das beste Ambiente für die Voraussage der Zerstörung ist. „Sind Sie Herr Soucek?“ frage ich. Er hat sich zu mir gewandt und ich sagte: “Sie wissen es noch nicht, aber wir zwei werden zusammen ein Buch machen. Ich habe Sie schon vor zwanzig Jahren in Ihrem Atelier gesucht, vergeblich.“ Soucek schaute mich verdächtig an ob aus mir vielleicht Alkohol oder die gewöhnliche Blasiertheit eines Menschen mit großen literarischen Ambitionen spricht und fragte: „Was sollte es denn sein?“ „Die Apokalypse“ „Mein Herr, Sie wissen nicht wovon Sie reden“ antwortete Hans, der durch den Rotwein selbstsicher geworden ist. Aber auch durch die Erfahrung, die Erkenntnis von Albrecht Dürer, der es schon einige Jahrhunderte vorher versucht hat und das Bewusstsein dessen wie schwer es ist nach Dürer den überhaupt schwierigsten Text der Bibel zu beherrschen. „Aber ich weiß wohl, worüber wir reden. Ich habe es schon dreimal versucht und dreimal in den Papierkorb geworfen.“ Hans hat große Augen gemacht und sagte: „Mein Herr, Sie fangen an mich zu interessieren…..“ Und dann war alles einfach. Wir haben Adressen und Telefonnummern ausgetauscht und weil wir fast so perfekt sind wie die Deutschen, haben wir innerhalb eines Jahres den Text und den ersten Script des gemeinsamen Werkes geschaffen. Und wir sind auch Freunde geworden, denn zwei Menschen, die lange gemeinsam mit einem Pflug das Feld bearbeitet haben können nur Freunde werden. Die Reise nach Deutschland hat also schon am ersten Tag dieses wichtigste Ergebnis gebracht.
Die Organisation der Reise hat Bedrich Utitz übernommen, ein jahrelanger Freund und früher sogar mein Vorgesetzter. Er gehört dem kleinen Team von Menschen an, die mir viel beigebracht haben. Es war in der Zeit zwischen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre. In der Auslandsredaktion des Rundfunks ist ein wirklich exquisites Team zusammen gekommen. Dazu gehörte der Schriftsteller Arnost Lustig, der die Auslandssendungen des Tschechischen Rundfunks als einen perfekten Brutkasten für neue Talente betrachtete. Und es haben dort einige später wirklich berühmte Zeitungsleute, Minister und Schriftsteller gearbeitet. Bedrich, ein alter Zeitungshase hat uns unter anderem gelernt Berichte richtig zu gestalten, eine in den Medien sehr wichtige Tätigkeit, die heute leider kein Mensch ernst nimmt. Ein Reporter bekommt eine Nachricht von der Agentur, schreib sie um – oder auch nicht- und fertig. Oder er besucht eine Pressekonferenz und notiert, wer was gesagt hat oder nicht gesagt hat. Und dabei ist dass doch die Grundlage der Arbeit eines Zeitungsmenschen, denn die Kunst einen gutes Bericht zu schreiben ist eher eine hohe Qualifikation, aber sicher keine Routine. Ein Klassiker der Journalistik Frantisek Gel hat diese Erfahrung so formuliert: Falls ich keinen guten Bericht schreiben kann, bearbeite ich lieber ein Kommentar.
Bedrich Utitz hat uns also in diesem Geist erzogen. Berichte, welche die Information nicht gleich im ersten Satz hatten, hat er den Autoren zurückgeschickt. Markierte mit Fragezeichen Stellen, wo etwas für den Leser wichtiges fehlte. Woche für Woche bekam ich einen Stapel meiner Berichte zurück, die ihm nicht gefallen haben. Und das Gleiche traf auch die anderen – alle die zukünftigen Schriftsteller, Minister, Regierungsberater. Es hat mich unheimlich gewurmt, mein Ehrgeiz wurde jedes Mal beleidigt und so habe ich angefangen mich in die Materie zu vertiefen. Habe bei den Deutschen und bei den Engländern gelernt, jeden meiner Berichte mehrmals umgeschrieben. Die Stapel der zurückgewiesenen wurden dünner und dünner und nach einem halben Jahr waren keine mehr da. Es war eine der Einlagen für die weite Zukunft. Wenn ich bei der Regierung gearbeitet habe und einer meiner Kollegen wollte sicher sein, dass sein Bericht wirklich gedruckt wird, ist er zu mir gekommen. Und ich habe gewütet wie früher Bedrich: Teile des Berichts umgestaltet, gestrichen, eingefügt, neu geschrieben…. Mit Erfolg!
In der Zeit, in der ich diese Zeilen schreibe, läuft auch ein Auswahlverfahren für die Besetzung des Pressebüros. Bei den Kandidaten wird die Parteizugehörigkeit erwähnt, die fachliche Qualifikation und Sprachkenntnisse bleiben unberücksichtigt. Durch den Auswahlsieb kommt auch ein halbgebildeter Psychopate – Hauptsache ist, dass er die richtige Partei vertritt. So war es in der Tschechoslowakei immer. Bedrich Utitz hätte den Kandidaten einige Daten in Deutsch und Englisch vorgelesen und um Anfertigung eines Berichts gebeten. Ich kenne einen Mann, der diesen anspruchsvollen Test bestanden hätte – aber ausgerechnet der wurde nicht zugelassen….
Bedrich Utitz wurde das Ziel einer weiteren Undankbarkeit. Er war es der in Köln mit Adolf Muller den Verlag Index – nicht minder bedeutend wie der Verlag von Skvorecky in Toronto - gegründet hat. Eheleute Skvorecky haben zu Recht den Orden des Weißen Löwen erhalten, Bedrich Utitz wurde dabei vergessen. Wir haben es beinahe geschafft ihn für den Orden TGM zu nominieren, aber dann hat jemand entschieden, dass dieser Orden nur In Memoriam vergeben wird. Und so kann Bedrich hoffen, dass mit ihm im Sarg auf einem Kissen - außer einigen Kriegsauszeichnungen aus dem zweiten Weltkrieg - auch der Orden TGM In Memoriam liegen wird.
Einen besseren Begleiter konnte ich mir für den Weg durch die Medien nicht aussuchen. Zum Ersten wurde ich von einem Journalisten begleitet. Zum Zweiten war er ein ausgewiesener Kenner der Terminologie. Ich habe zwar die Diskussion geführt, aber wenn mich die Deutschen mit einem komplizierten Satz überraschten oder wenn ich etwas nicht ganz begriffen habe, griff Bedrich sofort ein. Und so haben wir innerhalb einer Woche alle Besuche absolviert, die unsere Kräfte zugelassen haben: Regierungsrat Dr. Walter Schutz, den absoluten Kenner des Gesetzes und der Terminologie des Rechts. Eine Frau, welche für den Schutz der Jugend bei den Medien zuständig ist. Einige der größten Radiostationen – den Westdeutschen Rundfunk, die Gesamtdeutsche Radiosendung Deutschlandfunk, die kommerzielle Fernsehstation RTL Plus, welche bei den tschechischen Zuschauern meistens durch die Sendung Tutti Frutti bekannt ist. Und natürlich habe ich wieder deutsche Fernsehkanäle betrachtet. Es sind insgesamt 22, falls Sie über Kabel verbunden sind. Ich konnte es nicht, aber sechs bis sieben Programme habe ich wirklich aufmerksam beobachtet.
Selbstverständlich habe ich auch die Umgebung genossen – poliert in solche sterile Sauberkeit und formliche Vollkommenheit, welche die Seele eines Ästhets begeistern können. Dr. Gröger, ein tschechischer Arzt, der sich hier schon vor langem etabliert hat, kaufte bei Bonn eine in makelloses Grün gesetzte Villa. Die Wände sind vollständige aus Glas, so dass der Rasen gleich am Ende des Teppichs anfängt. Wenn man die Augen vom Schreibtisch in den Garten hebt, sieht man ein Stück weiter ein Hain mit fremdländischen Kiefern und Fichten. Nachdem Eheleute Gröger meine Begeisterungsfähigkeit gemerkt haben, führten sie mir noch ihr Badezimmer vor, mit einer Ausstattung, welche die Bilder der besten Kataloge weit übertroffen hat. Die Küche war durch Tapete mit Kirschenmuster verschönert. Frau Gröger hatte nur in der Tschechoslowakei währen der ersten Wahl nach November ein Problem bekommen nachdem sie nach Topflappen mit Kirschenmuster gefragt hat.
Bedrich Utitz ist auch detailverliebt, fast wie ich, mag aber den Weitblick. Er öffnet die Vorderwand zur Terrasse und geht direkt zum Rhein - früher war es eine dreckige Brühe, heute leben dort über dreißig Fischarten, einige davon waren früher nicht da. Und so saß ich mit Blick auf den Fluss und obwohl ich schon lange nicht geraucht habe und mir die Ärzte Zigaretten streng verboten haben, konnte ich hier nicht widerstehen. Denn zum vollkommenden Genuss gehört auch einer rituelle Zigarette.
DIE DEUTSCHE GESETZGEBUNG
Wo konnte ich eine bessere Informationsquelle finden als im Bundespresseamt? Unter anderem deswegen, weil die Deutschen in allem Perfektionisten sind – ob es sich um Gesetze oder um öffentliche Hygiene handelt. Eigentlich müssen auch diese zwei Begriffe nicht weit voreinander entfern sein. Es kommt auf die Landeskultur an, auf ihre Erfahrung, auf den Geschmack der Menschen, auf eine sorgfältige Pflege der anvertrauten Aufgabe. Es ist kein Zufall, dass in diesem Bereich England führend ist, denn die Engländer verfahren bei der Kultivierung ihres öffentlichen Lebens wie bei der Pflege ihrer Rasenflächen. So hat es uns Karel Capek beschrieben: Mähen, sprengen, walzen – und das alles täglich und einige Jahrhunderte..... Und dann können Sie ein Land auch ohne Grundgesetz regieren – eben wie die Engländer. Oder man kann sich Gesetze ausdenken und sie sofort nach Bedarf novellieren, ausländische Erfahrungen benutzen, etwas aus Deutschland, etwas aus Frankreich nehmen – alles, was gerade in die Hände fällt und was wir sprachlich zu bearbeiten in der Lage sind. Dazu kommt noch der Druck des Parlaments und schon sind wir zu Hause. Deutschland war schon deswegen interessant, weil wir von dort die Begriffe „Dual“, „Öffentlich-rechtlich“ und „Rundfunkrat“ fast wörtlich übernommen haben. Deutschland ist uns einfach sprachlich und geografisch am nächsten. Unsere Touristen haben es am besten von allen Ländern „bearbeitet“, so dass sich das deutsche System am ehesten anbietet. Es ist kein altes System, noch Anfang der achtziger Jahre hat sich die deutsche Bundesregierung gegen die freie Entfaltung der Marktkräfte im Bereich der Medien gewehrt. Im Jahr 1981 ist aber ein Gericht zu dem Schluss gekommen, dass man die gewünschte Vielseitigkeit beim Rundfunk und Fernsehen am besten durch eine größere Anzahl der Unternehmen erreichen kann. Und so hat man angefangen über das duale System zu sprechen, über die traditionellen staatlichen bzw. heute öffentlich-rechtlichen Sender und über die kommerziellen Programme. Aus dem Sendebetrieb ist Geschäft geworden, welches seine einzige Einnahmequelle in der Reklame sucht und ihr auch die Maßstäbe des Geschmacks und sein Angebot unterordnet. Derjenige, der die meisten Zuschauer oder Zuhörer hat, hat auch den meisten Gewinn aus der Werbung.
Der überhaupt erste Privatsender, der die Senderechte für ganz Deutschland bekommen hat war im Jahr 1984 RTL+. Wir kennen diesen Sender meistens von seinem Programm Tutti Frutti, der aber entgegen der weitläufigen Meinung für RTL2 nicht so repräsentativ ist. Ich habe zum Beispiel auf diesem Sender jeden Morgen recht solide Nachrichtensendungen verfolgt. Danach kamen die anderen wie SAT1 und eine Reihe von Programmen über Satellit oder über Kabel. Später haben sich die Produzenten der Programme und die Sender getrennt. Zum Beispiel kauft RTL mehr als die Hälfte seiner Produktion woanders und für den ganzen Betrieb reichen nur 720 Mitarbeiter (im Jahr 1992).
Der Sendebetrieb ist sehr dynamisch geworden und das Kapital zwingt dem Spiel der Medien neue, ökonomische Regeln auf. Inzwischen haben sich auch die ursprünglich staatlichen Sender von der Regierung getrennt. Man hat sie nun „öffentlich-rechtlich“ genannt, in Italien wurden sie auf „öffentliche Dienste“ umbenannt. Damit haben die Juristen und Publizisten die Tatsache betont, dass die Regierungen nicht in der Lage sind Direktiven direkt den Sendern zu erteilen und dass sie auch in die ausgestrahlten Sendungen nicht eingreifen können. Das finanzielle Budget dieser öffentlich-rechtlichen Medien wird unabhängig vom Staatsbudget verwaltet. Theoretisch könnten diese Medien nur dann in Konflikt mit dem Staat kommen, wenn sie das Gesetz brechen würden. Aber einen kleinen Unterschied gibt es doch: Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF erheben Gebühren, welche sie unter sich aufteilen. Ab dem 1. Januar 1992 ist es nicht ganz wenig – fast 24 Mark, also etwa 400 tschechische Kronen in Monat. Obwohl diese Gebühren auch für die Rekonstruktion der Sendenetze der ehemaligen DDR und einige andere Dinge gebraucht werden, ist es immer noch ein Haufen Geld. Wenn Sie dazu noch die Gebühren für Kabelfernsehen und das sogenannte „pay-TV“ mit Decoder, die sich zurzeit in ganz Europa ausbreiten, hinzurechnen und zusammenzählen, dann werden Sie feststellen, dass ein Abend in Hausschuhen vor dem Bildschirm nicht gerade billig wird. Sie müssen wohl nicht alles einkaufen, was ihnen die Anbieten offerieren, denn nicht alles in diesem Korb verdient ihre Aufmerksamkeit.
Außerdem entdecken Sie eine Schublade voll mit Videoaufzeichnungen. Die Mehrheit der deutschen Haushalte besitzt bereits Videogeräte und so hat die Fernsehkultur freien Weg, muss nicht einmal mit ihren Kunden psychisch manipulieren. Es reicht völlig aus, ihre kulturellen Ansprüche abzusenken. Die Konsumenten verblöden langsam – vor allem die Kinder. Ich erinnere mich an diese Erfahrungen von meinen Reisen vor allem dann, wen ich im tschechischen Fernsehen die Sendung über die Schildkröte „Ninja“ sehe. Die lange Tradition der tschechischen Produktion für Kinder hat gegen die billigen ausländischen Serien bald keine Chance mehr. Ja, sie werden billiger genauso wie die Ansprüche des heranwachsenden Publikums. Ich möchte trotzdem glauben, dass dies nur die Nebenprodukte des Kommerzes in der Kunst sind, dass die Freiheit der Produktion unweigerlich mehr Schrott mit sich schleppt. Sollte jedoch die Überschwemmung des Marktes und die Verblödung der Nationen ein Teil des perfekt organisierten Spiels werden, dann sollten wir uns aber genauso benehmen wie der Held Montag aus dem Roman von Bradbury „451 Grad Fahrenheit.“ Aber nicht vergessen – auch er hatte keine Chance des Spiel zu gewinnen.
Der Herr Regierungsrat Dr. Walter J. Schütz hat mich mit einem unbezahlbaren Lexikon des deutschen Medienrechts ausgestattet, welches mir geholfen hat mehrere Rechtsbegriffe der Medienwelt zu begreifen. Dort wurde mit deutscher Gründlichkeit fast alles aufgeführt, was uns in der Mitte von Europa an der Medienpolitik interessiert. Obwohl – so Dr. Walter Schütz – die Juristen ganz andere Probleme wie die Humanisten haben. Die staatliche Informationspolitik kümmert sich im Prinzip nur um rechtliche und technische Aspekte der Übertragung der vielen Programme zum Zuhörer oder zum Zuschauer. Von den Rechtsexperten der Medien kann man kaum erwarten, dass sie auch den Inhalt der Übertragung berücksichtigen. Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, kann manchmal ein Fernsehkanal ganz nahe zu einem Abflusskanal stehen. Die Römer haben so ein Werk „cloaca“ genannt und wenn es besonders gut gelungen war, haben es als „Cloaca Maxima“ bezeichnet.
WIE DER "WESTFÄLISCHE FRIEDEN" BESCHLOSSEN WIRD
Die erste deutsche Fernsehstation, die mit den drei Buchstaben ARD bezeichnet wird ist eigentlich das Erbe der deutschen Teilung nach dem Krieg. Deutschland wurde in Besatzungszonen und in den Zonen auf einzelne Länder aufgesplittert. So sind in Westdeutschland 11 Länder entstanden, zu denen nach der Vereinigung weitere 5 hinzugekommen sind. Und jedes Land hat seine eigene Legislative, vor allen im Bereich der Kultur, zu der auch die Medien gehören. Diese Bereiche sind schon in der ersten Verfassung nach dem Krieg der Zuständigkeit der Länder zugewiesen worden. Sollten Sie also etwas über die Medien erfahren, reicht dazu eine Broschüre. Sollten Sie jedoch die Gesetze kennenlernen, brauchen Sie dazu ein Lexikon. Und falls Sie die Mediengesetze der allen 11 Länder vergleichen wollen, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als alles durchzublättern, was veröffentlicht wurde – also eine kleine Bibliothek. Denn die Deutschen sind nicht nur pünktlich, sie sind auch unwahrscheinlich fleißig. Die Aufteilung Deutschlands, verbunden nur durch die gemeinsame Sprache hat aber einige Vorteile gebracht. Alle 11 Länder haben sich verbunden und mit einem Staatsvertrag die bereits erwähnte ARD geschaffen. Diese drei Buchstaben kommen von der deutschen Bezeichnung A wie Allgemeine, R wie Rundfunkanstalten und D wie Deutschlands. Das erste mit diesen Buchstaben bezeichnete Fernsehprogramm hat 1950 mit der Versuchssendung und zwei Jahre später mit regulären Sendungen angefangen. Außerdem waren in jedem der westdeutschen Länder drei bis vier Rundfunkstationen.
Die Technik hat sich weiterentwickelt, die Programmvielfalt war gering und so hat die Bundesregierung beschlossen ein zweites Programm zu gründen – das ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen). So geschehen 1960. Die Entscheidung der Bundesregierung wurde aber durch das Verfassungsgericht als verfassungswidrig befunden, denn wie wir wissen, fällt Medienpolitik in die Zuständigkeit der Länder. Die Bundesländer haben also einen Staatsvertrag über das zweite Fernsehprogramm beschlossen, welches 1963 die Arbeit aufgenommen hat. Die 11 Bundesländer haben aber viel mehr beschlossen: nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch weitere 9 Sender. Sind die 9 neuen Programme der ARD regional, ist das ZDF als ein Programm eingerichtet. In ARD entstand auch eine professionelle Aufteilung der Arbeit: Hamburg ist für die Nachrichten, Köln für Sport und Frankfurt für die Wettervorhersage zuständig. Darüber hinaus hat jeder Sender ihr Regionalprogramm. Die Leitung der einzelnen Sender ist zwar nicht identisch, aber vergleichbar. Einige Dutzend Vertreter bilden den Rundfunkrat. Dieser benennt den Verwaltungsrat und den Intendanten sowie verschiedene Ausschüsse für Finanzierung und Budget, Programmkomitee und Komitee für die Entwicklung. Der Kölner Sender, bezeichnet als WDR (Westdeutscher Rundfunk), hat den Rundfunkrat mit 41 Mitgliedern, das ZDF hat im Fernsehrat 66 Frauen und Männer. Jeder Sender hat einen speziellen Schlüssel für die Besetzung ihres Rates.
Die tschechischen Komitees für Sender oder für Nachrichtenagentur gehen von der magischen Zahl 9 aus, welche auf dem französischen Modell beruht. Die Deutschen in ihrem Bestreben alle möglichen Einflüsse der politischen Parteien zu eliminieren bevorzugen ein breites Spektrum von allgemeinen menschlichen Interessen mit dem Ziel den Parteien nicht mehr als ein Drittel der Sitze zu geben. Sie vertrauen a priori darauf, dass wenn zum Beispiel der Journalistenverband zwei Mitglieder hinschickt, werden diese ihre professionellen Interessen vor den Interessen der Partei, der sie angehören verteidigen. Und dass caritative Organisationen caritative Aktionen bevorzugen und Invaliden vorzugsweise Invaliden verteidigen werden. Die Umfragen der achtziger und neunziger Jahre haben aber gezeigt, dass sich mit der Zeit zwei Drittel der Mitglieder unter politische Fahnen versammeln – und damit genau dass tun, was die deutsche Legislative vermeiden wollte. Darüber hinaus scheint es so zu sein, dass inhomogene Gruppen keine Gewähr für Professionalität sind – außer politischen Einfluss können sie auch in die Tagungen Dilettantismus einbringen, der schon in allen Parlamenten vorhanden ist.
Aber das Spektrum der Vertreter der Öffentlichkeit ist beeindruckend – man findet dort Repräsentanten des jeweiligen Landes, der Bundesregierung, des Bundesrates, gewichtet nach Einfluss der jeweiligen Partei, weiter Vertreter aller Kirchen, einschließlich der Jüdischen Gemeinde. An den Tagungen nehmen Arbeitgeber, Gewerkschaften, Journalisten und Verleger, Handwerker, Vertreter von Bauern, Sportler, Vertriebenen, Wissenschaftler, Kunst, Musik, Invaliden, Familien, der Jugend und Frauen teil. Aus solchen inhomogenen Haufen eine Einheit zu bilden ist anscheinend sehr schwierig. Aber solche Einheiten bilden auch die Parlamente und Senate, welche sich nicht nur mit Medien befassen müssen: Heute sind es Atomkraftwerke, morgen die Organisation des Gesundheitswesens, übermorgen der Wasserstand der tschechischen Flüsse, Organisation des Bildungssystems, Gesetz über Insolvenz, Existenzminimum, die Wahlen des Senats, Druckgesetze... einen einfachen Menschen graut es vor der Selbstsicherheit der Männer und Frauen in den Abgeordnetenbänken, welche ganz souverän über jedes beliebige Thema diskutieren und bei jeder Abstimmung eine wichtige Miene aufsetzen. Umso schlimmer ist es mit den Medien, bei deren jeder über seine Kompetenz überzeugt ist, denn wer von uns sieht nicht täglich mindestens eine halbe Stunde fern? In Deutschland sind es für Menschen ab 14 täglich zweieinhalb Stunden. Es sitzen doch einige zehn Millionen Menschen vor dem Bildschirm, angesteckt von der Souveränität der Herren Abgeordneten und Senatoren, die bei jedem angesprochenen Thema ihre Kompetenz beweisen ohne dabei rot zu werden. Dank Farbfernsehen und Detailaufnahmen können wir die Rötung der Wangen verifizieren. Manchmal handelt es sich aber nur um eine durch höheren Alkoholgenuss verursachte rote Nase.
Kommen wir aber zurück zu den Fernsehprogrammen in Deutschland. Beide öffentlich-rechtliche Sender haben den Vorteil, dass sie die Rundfunkgebühren selbst kassieren und verteilen. 70 Prozent davon bekommt der stärkere Bruder ARD, 30 Prozent bleibt bei ZDF. Vorher werden aber Ausgaben für die Entwicklung des Fernsehempfangs im Osten abgezogen. Mit diesen Gebühren deckt die ARD etwa drei Viertel ihrer Ausgaben, der Rest kommt von der Werbung und vom Verkauf eigener Produktionen. Die kommerziellen Sender leben nur von der Werbung und dort hängt der Preis der Werbeminute von der Zuschauerquote ab. Je mehr Zuschauer ihre Programme verfolgen, umso höher ist ihr Anteil an Werbeeinnahmen. Wir müssen uns den Zuschauern anbiedern, damit sie uns lieben. Und das ist der erste Schritt zum Angebot von Programmen, die dem billigen Publikumsgeschmack entsprechen, zur Pflege des ordinären Geschmacks, welches mit keinem Gesetz zu unterbinden ist.
Ein kleines Bild bekommt man durch den Vergleich von Sendern, die Rundfunkgebühren kassieren mit denen, die nur von der Werbung leben müssen. Bei der ersten Gruppe sind Informationen in 45 Prozent aller Programme enthalten. Die kommerziellen Sender RTL und SAT 1 erreichen nicht einmal die Hälfte (18 %) dieses Werts. Aber die Unterhaltung ist in zwei Dritteln (62 %) der kommerziellen Programme, bei ARD und ZDF nicht mal in deren Hälfte (45 %) enthalten. Die Kommerziellen dürfen bis zu 20 % der Sendezeit mit Werbung füllen, ARD und ZDF dürfen in der Hauptsendezeit (überall Englisch „prime time“ genannt) nach 20 Uhr keine Werbung mehr ausstrahlen. Die Medien sind einfach auch nach dem „Westfälischen Friedensvertrag“ und nach den vielen Gesetzen immer noch ein großes Schlachtfeld oder eher eine Rennbahn, an der über Zuhörer und Zuschauer gekämpft wird. Und es sind nicht immer faire Wettbewerbe, die Rennbahnen sind nicht immer gerade gut befestigt und das Niveau der Wettkämpfe nicht hervorragend. Und dabei können Sie sich von nur wenigen Dingen so einfach überzeugen wie von den Medien. Es reicht nur den Einschaltknopf zu betätigen.....
Übersetzer: Ctirad Panek |