Im Dezember 1983 unterschrieb ich in Köln am Rhein einen Arbeitsvertrag mit Herrn Hans Schirmer. Ich konnte nicht ahnen, wie eng mein Lebensweg mit diesem außerordentlichen Menschen für mehr als zwanzig Jahre verbunden sein würde. - Es fehlten nur ein paar Tage bis Weihnachten und ich saß voll Sorge in dem kleinen, bescheidenen Arbeitszimmer des großen Unternehmers Hans Schirmer und wartete angespannt darauf in seinem Unternehmen aufgenommen zu werden.
- Beim Lesen meines Lebenslaufs wendete sich Herr Schirmer zum anwesenden Prokuristen und sagte nur beiläufig: „Haben Sie gelesen, was Herr Zidek schon alles erlebt hat?“
- In diesem Augenblick wusste ich, dass ich in seine Firma Achatit aufgenommen werde, einer Firma, die zu den großen Herstellern von Kunst- und Geschenkartikeln in Deutschland gezählt wurde. Ich wurde zwar nur für eine Probezeit von drei Monaten eingestellt, aber es war für mich endlich eine Chance nach drei Jahren Arbeitslosigkeit wieder zu arbeiten. Die drei Monate vergingen so schnell und dann bekamen meine Frau und ich die Nachricht, dass wir fest eingestellt werden. Außer der Arbeit im Unternehmen wurden wir auch als Hausmeister in seiner Firma angestellt und bekamen eine Dienstwohnung.
- Unser Anfang war, wie es meistens im Exil ist, überhaupt nicht einfach. Ich wurde zuerst als ein einfacher Arbeiter beschäftigt. Erst nach einem Jahr wurde mir eine Stelle als Formenmodelleur angeboten. Dort habe ich nach einem weiteren Jahr als Bildhauer für die Serienreproduktion von Skulpturen gearbeitet und stellte meine Skulpturen der Firma zur Reproduktion zur Verfügung, wie es auch andere deutsche Künstler taten, - wie Peter Ludwig, Susanne Juretzek, Ilse Hansen-Krisl, Walter Bosse, Melitta Hartlieb, Doris Mertens, Angelika Guest und andere. Unsere Achatit – Firma stellte Reproduktionen her von Masken und Figuren weltbekannter Schauspieler wie Charlie Chaplin, Laurer und Hardy – und Clowns wie Oleg Popov, Grock (Adrian Wettach), oder Charlie Rivel (José Andreu Laserre). Die letzten drei waren der Grund meiner Bekanntschaft und späteren Freundschaft mit Ondrej Suchy, dessen Liebe für Clowns unermesslich ist. Er war es auch, der meine Entscheidung indirekt beeinflusst hat zur Erinnerung an Hans Schirmer auf den Seiten der „Pozitivni noviny“ zu berichten. Und so wird Hans Schirmer auch im Internet verewigt werden.
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Ondrej Suchy schreibt: Im Jahr 1998 habe ich im Magazin Kvety einen Artikel meiner Freundin Alena Sloufova über einen gewissen Vaclav Zidek aus Deutschland gelesen, der Plastiken berühmter Clowns und Filmkomiker kreieren sollte. Ich wollte diesen Menschen gerne kennen lernen. Deswegen habe ich mir diesen Artikel ausgeschnitten und im Archiv abgelegt. Nach einem gescheiterten Versuch, Alena telefonisch zu erreichen habe ich die Gelegenheit weiterer Verpflichtungen einfach vergessen. Ich gebe zu, dass ich auch den Namen von Vaclav Zidek bald vergessen hatte. Und als ich ihn rein zufällig fünf Jahre später bei einer öffentlichen Rundfunkaufnahme bei uns in Semanovice bei Kokorin traf wusste ich über ihn nicht mehr, als dass er sich irgendwie aus Deutschland in unsere Gegend verlaufen habe. Er saß im Publikum bei der Aufnahme eines Teiles des Rundfunkzyklus „Nostalgisches Museum der Unterhaltung“, bei dem ich den Gründer des legendären Schwarzen Theaters, Schauspieler, Librettist und Komponist Jiri Srnec interviewt habe. Nach der Aufnahme unterhielten wir uns und sind bald zum Du übergewechselt. Dabei habe ich unter anderem vieles über seine Langstreckenschwimmerei und seinen geliebten Hund Kolja erfahren. Und erst danach fiel mir ein Prospekt der Firma Schirmer mit den Figuren von Vaclav in die Hände. Ich war ganz verwirrt – es war doch einer der ganz seltenen Zufälle, die mir das Leben zu meiner großen Freude zugespielt hat. Und diese Freude hält bis heute an – seit dem 10. Mai 2003......
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- Herr Schirmer war ein Chef im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte von der Pike angefangen: er und seine Frau Hanneliese in der Garage in Köln-Junkersdorf die ersten Masken gegossen haben, welche der Bildhauer Peter Ludwig modelliert hatte. Diese wurden später auf der internationalen Messe in Frankfurt am Main in seinem kleinen Stand von einem Quadratmeter ausgestellt. Seine Anfänge sind denen des Tomas Bata ähnlich – auch er hat bei Null angefangen und nach einigen Jahren wurde seine Firma in ganz Deutschland bekannt.Das Leben des echten Geschäftsmannes Hans Schirmer verlief interessant und es lohnt sich, es ausführlicher zu beschreiben.
- Seine Berufslaufbahn begann Anfang der 30iger Jahre des 20. Jahrhunderts - in der Zeit der Krise und hohen Arbeitslosigkeit. Jeder, der sich über diese Zeit informiert hat weiß, wie unendlich schwierig das Leben damals war. Er hat als Lehrling in einer Fahnenfabrik in Bonn angefangen. Die dortige solide, schwere Kaufmannslehre, die er mit Erfolg absolvierte, war die Basis seiner Laufbahn. Nach der Lehre arbeitete Hans Schirmer einige Jahre in einer Weberei in Sulz am Neckar in Schwarzwald. Später ging er nach Berlin, um dort im Alter von 25 Jahren als Prokurist in einem technischen Büro anzufangen. Dort hat er auch im 2. Weltkrieg gearbeitet. 1944 wurde er Soldat. Nach Kriegsende kehrte er in das zerstörte Berlin zurück, fand seine Wohnung ausgebrannt und ging dann mit seiner Mutter nach Schwerin, was damals in der russischen Besatzungszone lag.
- Das Schicksal brachte ihn zusammen mit dem Berliner Bildhauer Peter Ludwig. Beide Männer wagten es eine gemeinsame Firma in Junkersdorf bei Köln am Rhein zu gründen: Der Bildhauer Ludwig entwarf Modelle, die kopiert wurden und welche dann der Kaufmann Schirmer versuchte zu verkaufen. Das ungewöhnliche Unternehmen entwickelte sich vor allem dank Schirmers Unternehmergeist und seiner unermüdlichen Arbeit sehr gut, obwohl der Anfang ungemein schwierig war. Aber der Mut, die Hartnäckigkeit und der Fleiß beider Männer haben alle Hindernisse und alle Fehler überwunden. Im Haus der Eltern von Frau Schirmer in Köln Junkersdorf fanden sie Platz für eine kleine, primitive Werkstatt. Beide hatten nicht nur im geschäftlichen, auch im privaten Leben das Glück, Partnerinnen zu finden, die sie das ganze Leben begleitet und auch in der Firma tatkräftig geholfen haben.
- 1948 wurde bei der Handelskammer die neue Firma unter dem Namen Achatit registriert. Der Name war abgeleitet vom dem Stein Achat, mit dem man die Oberfläche der Skulpturen berarbaitete. Seit der Gründung der Werkstätten wurde für die Herstellung von Skulpturen hochwertiger Naturstein in feinster Mahlung unter Zusatz verschiedener Bindemittel verarbeitet. Diese sorgfältig verarbeitete Masse wurde in alt-überlieferten Handformtechniken gegossen, retuschiert und nach einem präzise überwachten Trocknungsprozess geschliffen und mit einer dem jeweiligen Modell entsprechenden Fassung versehen.
- In den ersten Jahren wurden bei ACHATIT die Oberflächen der Wandmasken mit Achatsteinen bearbeitet –, ein Verfahren, das auch in der Vergoldungstechnik angewendet wird: Das Modell wurde mit dem Achatstein von Hand unter Druck poliert und so zum Glänzen gebracht.
- Und dieses „Werkzeug“, der Achatstein, gab schließlich nicht nur einer Kollektion, sondern einen ganzen Unternehmen den Namen - ACHATIT.
- Hans Schirmers Schwiegervater finanzierte die ersten Ausstellungen auf den Messen in Köln am Rhein, Frankfurt am Main und Hannover. Aber der Erfolg blieb aus, es kamen keine Kunden. Erst Anfang der 50er Jahre trafen die ersten Bestellungen aus dem Ausland ein. Die Kunden interessierten sich für die neuen Modelle, wie Masken von berühmten Stars oder Flaschenverschlüsse mit Karikaturen bekannter Politiker und Filmstars. Die ersten Kunden kamen aus Schweden und aus USA. Und bald fanden auch deutsche Kaufleute den Mut, schöne Dinge einzukaufen, die man so lange Zeit entbehrt hatte.
- Das Unternehmen hatte sich gut entwickelt und konnte neue Arbeitskräfte einstellen. Die Geschäfte hatten sich vor allem dank unermüdlicher Arbeit und Kreativität von Hans Schirmer viel versprechend gesteigert. Er hatte neue Märkte entdeckt und im Jahr 1961 angefangen Geschenkartikel zu importieren; Andenken und Kunstgegenstände, zuerst aus Spanien und Italien, später aus vielen anderen Länder aus der ganzen Welt.
- Mit dem Firmenerfolg kamen Platzprobleme. Die Arbeitsräume im Haus haben trotz aller Um- und Anbauten bald nicht mehr gereicht. Glücklicherweise war in der Nachbarschaft ein verlassener Bauernhof, dessen Gebäude von der Firma als Produktionsräume benutzt werden konnten. Die Gießerei wurde im ehemaligen Pferdestall eingerichtet, die Schleiferei im Kuhstall; die Güsse wurden auf dem Speicher getrocknet und endeten im Schweinestall, wo sie bemalt wurden. Alles war sehr eng, primitiv und provisorisch. Jeden Morgen musste man zuerst den großen Ofen anheizen und auf die Toilette ging man über den Hof. Aber trotzdem herrschte bei der Arbeit gute Laune. Es wurde viel gesungen - Volkslieder und aktuelle Schlager. Währen der Mittagspause versammelten sich alle, Männer und Frauen am warmen Ofen und stärkten sich mit Essen, das sie sich im eigenen Essgeschirr von Zuhause mitgebracht hatten.
- Achatit wurde bekannt. Zum Stand auf den Messen kamen Einkäufer aus der ganzen Welt. Die Produkte – Flaschenverschlüsse, weibliche Akte, Reliefs von Madonnen und vieles andere wurden bald in mehr als 50 Länder in der ganzen Welt exportiert. Die Dynamik des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg hat auch die Firma Achatit erfasst. Die Produktionszahlen steigerten sich schnell. Dadurch wurden die bestehenden Produktionsräume schon wieder zu klein. 1957 hatte man neue, große, moderne Räume mit Waschräumen, Duschen und Toiletten geschaffen. Aber auch diese haben nur vorübergehend ausgereicht. Man musste immer wieder umbauen und anbauen.
- 1993 wurde die ganze Firma umgesiedelt. Im Kölner Stadtteil Lövenich hat man einen großen Komplex mit ausreichend großen Arbeitsräumen, Lagerräumen und Büros bezogen.
- Was war das Geheimnis des Erfolgs von Hans Schirmer? Er wurde durch das Leben erzogen. In den schweren Zeiten der Lehre hat er sich schon in seiner Jugend daran gewöhnt, Pflichten und Verantwortung zu übernehmen. Aber vor allem war er der geborene Unternehmer, energiegeladen, einer der zuversichtlich in die Zukunft schaute und vor Risiken nicht zurückschreckte. Er selbst hat sich als den ersten Diener seiner Firma betrachtet, hat nie seine Arbeitsstunden gezählt, saß gewöhnlich bis lange in die Nacht am Schreibtisch, um das zu erledigen, wofür am Tag keine Zeit blieb, war sorgsam und sparsam. Zögerte nicht, spät in der Nacht aufzustehen, um ein vergessenes Licht im Lagerraum auszuschalten. Sparsamkeit und Bescheidenheit waren ein Merkmal seiner Generation und eine der Ursachen seines geschäftlichen Erfolgs. Diese Eigenschaften haben ihn sowohl im Privatleben wie auch in seiner unternehmerischen Tätigkeit begleitet. Er suchte immer nach schnellen und einfachen Problemlösungen.
- Diese Eigenschaften machten ihn zu einem ungeduldigen Vorgesetzten, der auch von seinen Angestellten maximale Leistung und Genauigkeit verlangt hat. Er hat nicht ständig nach Fehlern gesucht und diese doch überall gefunden – im Lager, in der Administration, in der Packerei. Herr Schirmer war nicht immer ein idealer Chef, aber er konnte seine Mitarbeiter motivieren. Sein Grundsatz war: Der Firmenerfolg ist vor allem abhängig von der Qualität der Arbeit der Firmenangehörigen, die dafür mit allen gemeinsam Kräften arbeiten.
Hans Schirmer als Mensch? Obwohl manchmal ungeduldig und aufbrausend, hatte viel Verständnis für seine Angestellten und war jederzeit bereit in der Not zu helfen. Seine spontanen, herzlichen Hilfsangebote sind vielen Menschen in guter Erinnerung. Und genauso gerne erinnert man sich an die lustigen Feste „bei Schirmers“ – Gartenfeste, Jubiläen, Weihnachtsfeiern, Betriebsausflüge. Diese Ereignisse konnte Herr Schirmer hervorragend organisieren.
- Unvergesslich ist seine Erzählung über seine Freunde, die von einem Urlaub in Nairobi eine wunderschöne Negermaske in schwarzem, glänzendem Mahagoni mitbrachten. Die Masken gefielen ihnen so sehr, dass sie es nicht versäumen konnten sie Herrn Schirmer mit dem Hinweis auf die Kunstfertigkeit der Afrikaner zu zeigen. Natürlich hatten sie dabei bemerkt, dass man von den Afrikanern einiges lernen konnte.... Herr Schirmer hat nur verschmilzt gelacht, hat die Maske in die Hand genommen, die Rückseite betrachtet und sie dann lachend den glücklichen Eigentümern zurückgegeben mit der Bitte zu sehen, wo dieser Schmuck hergestellt wurde. Mit Erstaunen konnten sie dort einen kleinen Aufkleber mit Schirm sehen – die Marke der Firma Schirmer.
- Obwohl Schirmer ein herzensguter Mensch war, war er auch sehr impulsiv. Seine Frau Hanneliese musste manchmal mit Diplomatie eingreifen und besänftigen. Wenn er einen Fehler gemacht hatte, konnte er es nicht sofort zugeben. Aber am nächsten Tag war er wieder freundlich und machte dem Kontrahenten ohne Worte ein kleines Geschenk als Zeichen seiner Entschuldigung. Damit brachte er sein Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck.
- Frau Hanneliese Schirmer war eine treue Partnerin und eine große Hilfe in seinem Leben. Sie war für ihn eine wichtige Stütze - nicht nur im Privatleben, sondern auch in der Firma. Dort konnte sie als eine sensible Malerin die soeben "geborenen" Figuren durch gut gewählte Farben zum Leben erwecken. Er hat sie geliebt und konnte sich auf sie immer verlassen. Ihr Charakter war dem ihres Mannes ähnlich – an erster Stelle war es Bescheidenheit und Großzügigkeit. Sie hat die Menschen, geliebt, vor allem Kinder, die ihr das ganze Leben viel Freude bereitet haben. Die Liebe zur Familie, zur Schönheit, zur Kunst, ihre Hilfsbereitschaft für schwache oder kranke Menschen, spielten im Leben der Schirmers eine wichtige Rolle.
- Im Alter von 80 Jahren hat sich Hans Schirmer entschieden, seine Firma zu verkaufen, weil er keinen geeigneten Nachfolger gefunden hatte. Zehn Jahre später – da war er schon schwer krank – musste er den Untergang seiner Firma miterleben. Er starb einige Monate später, am 19.09. 2004, kurz vor seinem 90. Geburtstag.
- Der letzte Abschied von Hans Schirmer war ein Beweis dafür, wie beliebt und geehrt er in seinem Stadtteil war. Bescheiden wie sein ganzes Leben war auch sein letzter Weg. Hinter dem einfachen Sarg gingen viele Menschen. Seine Enkel haben den Sarg anstatt mit Blumen mit selbstgemalten Bildern geschmückt. Er hatte sich statt teuren Blumenschmucks eine Spende für ein Kinderhospiz gewünscht.
- Somit endet die Erzählung von einem Menschen, der in die Geschichte des deutschen Unternehmertums eingegangen ist. Er könnte heute mit seinem Unternehmergeist, seinem kaufmännischen Talent und vor allem mit seinem ehrenhaften Charakter ein Beispiel für viele junge Menschen sein.
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